Kunstaktion
"Wachsender Adventskalender 2006" - Tag
20
Na, endlich mal was Eindeutiges: Ein Höllensturz, Teufel mit
Drachenflügeln und Schlangenschwanz, mit Schild und Schwert, von
den Engeln mit dem Kreuz abgewehrt, stürzen sie in die Tiefe.
Isenheimer Altar, Hyronimus Bosch, Pieter Breugel haben uns
solche Figuren auch schon gezeigt, allerdings in Farbe. Wilhelm
Schiefer lässt sie In Schwarz-Weiß in die Hölle fahren. Ein
starker Kontrast zum vorweihnachtlichen Weihnachtsmarkt und zur
Szenerie im gegenüberliegenden Kaarster Einkaufszentrum.
Utz Peter Greis
Was
ist das? Fabelwesen, Insekten, eine Ratte? Ich friere.
Bedrohliches, beunruhigendes Gewimmel, als hätte jemand die
lackierte Hochglanzoberfläche der werbeseligen Weihnachtszeit
angehoben wie eine Fußmatte und darunter nicht die üblichen
friedlichen Asseln, sondern diese wimmelnden Wesen freigelegt:
die Hektik, die Unruhe, die unzufriedenen Zweifel, die Ängste,
nicht dem Werbebild entsprechen zu können, Erwartungen zu
enttäuschen, es nicht rechtzeitig zu schaffen, die uns
vorantreiben exponiert, die wir, die alle, sonst so schön
verbergen unter glänzendem Weihnachtsschmuck und Goldpapier und
schokoladengefüllten Adventskalendertürchen.
Anja Schäfer
Gestern
Abend sah ich im Fernsehen den Film "Deep Blue - Geheimnisse
des Ozeans" mit herrlichen Bildern vom Leben in den Tiefen
der Meere. Da waren Korallenriffe mit den skurrilsten
Tierformen: Fische mit dicken Köpfen und langen Schwänzen,
Krebse mit Stielaugen, Seepferdchen mit blattartigen
Flossen, so dass sie von Pflanzen kaum zu unterscheiden
waren, Polypen mit fadenförmigen, mit Nesseln besetzten
Fangarmen. Das war ein gegenseitiges Kämpfen ums Fressen und
Gefressenwerden. - Manchmal denke ich, mein Gehirn sei auch
so ein Korallenriff: mit seinen bizarren Nervenzellen, die
miteinander und gegeneinander arbeiten, und mit seinen oft
skurrilen Gedanken und Phantasien, mit Traumgestalten, deren
Wirken mir selbst geheimnisvoll bleibt.
Josef
Grüning
Gestern
kommentierte Utz Peter Greis: "Die Bilder von Wilhelm
Schiefer werden von Tag zu Tag
kryptischer". Unklar und schwer zu deuten ist das Bild
von heute hingegen kaum. Wie Hieronymus Bosch in
seiner Zeit zeigt der Künstler von
heute und angesichts der Zerrissenheit der Welt und
angesichts aussichtsloser Kriege eine
apokalyptische Situation. Aber hier kämpfen nicht
Gut und Böse oder Mächte des Himmels und Mächte der
Hölle gegeneinander. Jeder stürzt jeden, der gerade Halt zu
finden sucht, in die Tiefe. In diesem
Kampf gibt es keine Sieger, keine Gewinner, noch nicht
einmal Überlebende. Ist das die Folie, vor der wir die
Ankunft des Erlösers erst richtig
begreifen? Ilse und Ludwig
Petry, Meerbusch
An einem steilen Berghang
tummeln sich Menschen und schreckliche Fabelwesen mit
Flügeln und Schwänzen. Die Menschen fallen, purzeln und
schweben. Es ist ein Chaos, wie beim Urknall. Hineinragt
von oben ein Tragekreuz, aber auf dem Kopf stehend. Was
soll es bannen? Oder ist es wirkungslos wie bei einem
Kreuzzug? Ist es die Eroberung des Mars, die in diesen
Tagen von den Luftraumbehörden angekündigt wurde? Wir
befinden uns im wachsenden Adventskalender von
Heiligabend weiter entfernt denn je.
Sabine und Herbert Jacobs
Der
unvoreingenommene Blick des Siebzehnjährigen erkennt:
"Das ist ein Kampf zwischen Teufeln und Engeln."
"Stimmt", sage ich. Das Motiv kommt mir bekannt vor:
Bosch, Brueghel? Es fällt mir wieder ein: Grünewald,
Isenheimer Altar, die Versuchung des hl. Antonius. Eins
der ersten Kunstbändchen, die ich mir als Schüler
leisten konnte, war dem Isenheimer Altar gewidmet. Ich
schaue nach und finde Bestätigung. Allerdings hat
Wilhelm Schiefer den Ausschnitt aus der "Versuchung"
leicht gekippt, so dass der Kampf deutlicher ein Kampf
der unteren gegen die oberen Mächte ist.
Das Thema Versuchung ist keineswegs überholt, nur gehen
wir davon aus, dass das Böse nicht von außen an uns
herantritt, sondern in uns selbst
steckt. Wie der hl. Antonius müssen auch wir kämpfen -
nicht immer, aber oft genug - , gegen unsere
Bequemlichkeit und unsere Gier, gegen unsere Arroganz
und unsere Gleichgültigkeit, gegen Wut, Feigheit,
Intoleranz und schlechte Laune, die wir an anderen
auslassen. Es wäre allerdings falsch zu behaupten, in
uns steckte nur Schlechtes. Es gibt auch eine Reihe von
Eigenschaften, die uns hilfreich zur Seite stehen wie
die Engel dem hl. Antonius. Freilich kommen sie auf dem
Bild nur in Andeutungen vor.
Helmut Engels
"Die klimatischen
Bedingungen in der Hölle sind sicher unerfreulich, aber
die Gesellschaft dort wäre von Interesse." -
Oscar Wilde formuliert mit spitzer
Zunge - und doch:Schwarz und Weiß, das Böse und das
Gute, Engel und Teufel - wenn es mal so einfach wäre!
Anders als im Mittelalter dominieren heute die schwer zu
differenzierenden Grautöne, die verschwimmenden
Kontraste - was leider selten genug vor schnellen, nur
vermeintlich klaren Urteilen schützt. Der differenzierte
Blick erfordert mehr Mut (und erst recht mehr
Engagement), er geht den Menschen näher, stellt den
eigenen Wertekanon auf den Prüfstand, kratzt am
Schutzschild, am eigenen Panzer, der das Leben leichter
macht. Wer das Risiko eingeht, genau hin- und nicht
wegsieht, lebt nicht unbedingt komfortabler und macht
sich möglicherweise nicht beliebt ("Leute
mit Mut und Charakter sind den anderen Leuten immer sehr
unheimlich", sagte Hermann Hesse). Wer einmal
damit begonnen hat, wird alles andere jedoch nur noch
schwer erträglich finden.
Frank Kirschstein
Der Höllensturz aus der Apokalypse? Traumschrecken
des Nachts? Märchenfiguren, Harry Potters Ungeheuer
– steigen sie nun hoch oder stürzen sie herunter?
Unter diesen Unholden ein kleiner Mensch in der
Bildmitte. Rettet ihn der Kreuzstab, der von rechts
oben in das Bild hineinstößt?
Blicke ich über die Bildserie Willi Schiefers
zurück, so stellt mir jedes Bild jeweils mehr Fragen
und Verunsicherungen – das Endergebnis ist eine
zunehmende Verstörung. Wann kommt endlich ein
Weihnachtsbild? Aber das „weihnachtlich“ farbenfroh
gestaltete Umfeld in den Kaufhäuser und allein schon
die vielen Lichtgirlanden und Nikoläuser in der
Nachbarschaft bieten eine „weihnachtlich“ heile
Welt. Schwillt da drunter die Angst vor der
Dunkelheit? Was wird das Licht zur Weihnacht
beleuchten? Pagane Unholde und Kobolde – oder den
von den Engeln den Hirten auf dem Felde (uns)
angekündigte Frieden?
Dr. Karl
Remmen
Das
linke Fenster zeigt ein Bild mit zahlreichen Linien
ohne eine Leitlinie, ohne Leitstrahl:
Das Weltbild einer orientierungslosen
Gesellschaft?
Aber eine empor springende Gestalt reckt
helfende Arme nach oben, will einen fallenden
menschlichen Körper aufnehmen.
Doch ein tröstliches Verhalten und ein
menschenfreundlicher Sinn in einer hoffnungslosen
Zeit?
Dr. Hans-Ulrich Klose
Wuchtige Härte ist abgelöst durch filigrane
Zartheit. Spontane Assoziationen lassen mich an
Lotte Reinigers Scherenschnittfilm "Die Abenteuer
des Prinzen Achmed" denken, die mich als Kind so
beeindruckt haben. Die zarten, spitzen Linien
verbunden mit anmutigen Bewegungen der Personen
bezauberten mich. Und hier? Was für ein Gegensatz.
Wie im 15. Bild fallende Körper in ein "bodenloses",
erschreckendes Nichts, dazu wieder in die Diagonale
gestellt, um die Dynamik der Szene zu verstärken.
Andeutungen von Flügeln, die nicht Liebliches,
sondern Gewaltiges verkörpern und Machtlosigkeit der
kleinen Figuren. Egal, wie sie kämpfen, sie werden
sich nicht halten können.
Ein hoffnungsloses Bild.
Annette Landgräber, Köln
„Schattenhafte, fast zwielichtige Gestalten.
Sind sie auf der Flucht? Ist es auch nur der Weg zu
einem unbekannten Ziel? Nach
Bethlehem etwa?“ Dies denkt sich WZ−Volontär
Peter Langer zum 20.
Motiv des Adventskalenders
von Künstler Wilhelm Schiefer.
Westdeutsche Zeitung - 23.12.2006
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(bitte die Bild-Nummer vermerken)
christa_kolling@yahoo.de
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