Woher nur kenne ich dieses Bild – oder schiebt Willi
Schiefer mehrere Bilder ineinander – könnte sein. Ich
weiß es nicht. Wo hab ich nur diesen Engel schon einmal
gesehen – und diesen erschrockenen Menschen? Warum
erschrickt der Mensch (der Heilige: welcher? Ignatius?
Franziskus?) bei einem engelischen Violinkonzert? Da es
nun ein Adventskalender ist, assoziiert man sofort die
wunderschöne Passage aus Lukas 2.9f: „Das trat der Engel
des Herrn zu ihnen, und der Glanz des Herrn umstrahlte
sie……“ So eine Verkündigung an die Letzten der Letzten!
Dr.
Karl Remmen
Eine
dramatische Szene spielt sich ab, die mich sofort an wuchtige
Gemälde der Barockzeit erinnert, die ich in Sevilla gesehen
habe. Ein Mann, der entsetzt, fast schon ekstatisch, auf die
überirdische Erscheinung reagiert, zu Boden fällt
und abwehrend die Hände hebt. Er will nicht hören,
was zu hören ist, und nicht sehen, was 'von oben' kommt.
Die junge, männliche Figur, die Geige spielt, nimmt die
typische Putto-Haltung ein und wirkt so unbefangen, wie es
diesem Himmelsbewohner nachgesagt wird. Die diagonale Ausrichtung
des Bildes stellt eine Zusammenhang zwischen den beiden her,
der mich irritiert. Will der am Boden liegende eine Botschaft,
die auf dem Instrument vorgetragen wird, nicht hören?
Seid der Antike, so informiert mich ein Lexikon, gibt es die
Verbindung von Musik und Jugend. Wir assoziieren damit freudige,
schöne Nachrichten. Davon will der Mann offensichtlich
nichts hören.
Annette Landgräber
Trotz
des erneuten Hinweises von Wilhelm Schiefer, dass
seine Ideen aus aktuellen Bildquellen entstehen, sehe ich
mich in dieser Szene in die Antike versetzt. Das mag an der
Säule rechts im Bild liegen, auf jeden Fall an der Erscheinung
des die Geige streichenden Engels. Ist es Saulus, bevor er
durch sein Damaskuserlebnis zum Paulus wurde? Ein Mann im
antiken Gewand, der nichts von einer himmlischen Botschaft
vernehmen will. Nicht anders kann man seine abweisende Gebärde
deuten. Tagesaktuell könnte die Vorstellung dem Künstler gekommen
sein, als er aus den Presseberichten hörte, dass
in der Paulusbasilika vor den Toren Roms das Grab des Apostels
entdeckt worden sei. Wir sollten die Melodie von oben nicht
zurückweisen, denn das Christkind ist nahe.
Dr. Herbert Jacobs
Angewidert, dem Brechreiz nahe, wendet sich der Mann von
der Erscheinung des musizierenden Engels ab. Wer ist
dieser Mann? Er ist kein Skeptiker, denn der enthielte
sich einer Meinung, ließe offen, wie die Erscheinung zu
beurteilen sei. Dieser Mann hat auch keine Ähnlichkeit
mit Faust, der sagt: "Die Botschaft hör ich wohl, allein
mir fehlt der Glaube." Denn dieses Geständnis hat einen
wehmütigen Unterton, von Ablehnung keine Spur. Dieser
Mann ist vielmehr, so ist zu vermuten, der
eingefleischte Zyniker: Er sieht in allem nur das
Negative und hat insgeheim seine Freude an der
Feststellung des Übels. In sein Weltbild passt nicht das
Gute, und wenn es sich zu zeigen beginnt, wendet er sich
schaudernd ab, will es nicht wahrhaben.
Wir aber fragen: Ist der Engel auf diesem barocken Bild
nur eine Illusion, oder wird hier eine Macht sichtbar,
die sonst hinter allem nur verborgen
anwesend ist?
Helmut Engels
Ein Engel
spielt in einer Wolke Geige; ein Mann wird von der Wolke
bedroht und hebt abwehrend die Hand. Im Hintergrund der
Tower eines Flughafens. Meine Deutung: Auf dem Weg in
den angesagten Weihnachtsurlaub ist eine Botschaft des
Himmels im Grunde nur eine ziemlich lästige Störung.
Utz Peter Greis
Der Blick des Mannes ist
angsterfüllt, fast panisch.
Abwehrend und ablehnend, erschrocken und geängstigt,
wie ertappt versucht sich der Mann dem Einfluss der
himmlischen Musik zu entziehen.
Verkündet
der Engel die Frohe Botschaft? Warum dann die Angst?
Warum wehrt sich der Mann
anscheinend mit großer Anstrengung dagegen, in den
Bann der Botschaft gezogen zu
werden. Stört sie ihn vielleicht in
seinem Alltag und der Verwirklichung seiner
Lebensvorstellungen? Ahnt er, dass
die Frohe Botschaft nicht nur gibt, sondern auch
fordert? Dorothea Zillmer
„Sirenenmusik!
– Aber Odysseus hat die Verführung durchschaut. Er wehrt sie ab. Er hat sich an
den Mast gebunden, um ihr nicht zu erliegen. Er hat seinen Auftrag fest in der
Hand: Kurs halten!“, sieht Josef Grüning im 15. Motiv des wachsenden
Adventskalenders von Wilhelm Schiefer. Jeden Tag bringt der Kaarster Künstler
ein neues Bild an den Scheiben der Rathausgalerie an. So entsteht bis zum 24.
Dezember eine einzigartige Bildkomposition.
Westdeutsche Zeitung - 16.12.2006