zurück

Wilhelm Schiefer    Rueckblick auf achtzig Jahre

Ausstellung im Tuppenhof, Vorst / Rottes 24 / 41564 Kaarst

10. Mai bis 04. Juni 2015

 Fotos: www.art-christakolling.de

 

zurück

 

Ausstellung "Wilhelm Schiefer - Rückblick auf 80 Jahre"

Einführung: Helmut Engels

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde der Kunst Willhelm Schiefers! Und natürlich: lieber Wilhelm Schiefer!

 

Ich gebe zu: Ich bin ein wenig verzagt, da ich angesichts der Fülle dessen, was Wilhelm Schiefer in über einem halben Jahrhundert geschaffen hat, nicht glaube, seinem Werk gerecht werden zu können.

 Tja, wo anfangen? Sollte ich darauf hinweisen, dass das Talent des Comenius-Schülers Schiefer schon früh von seinem Kunstlehrer Bullinger, einem autoritären Bayern, entdeckt worden ist? Oder dass Schiefer bei Heidegger Vorlesungen gehört hat? Nein, ich lasse das Biographische ganz beiseite. Überspringe auch die vielen Ausstellungen – Einzelausstellungen oder Beteiligung an Gruppenausstellungen – und sage auch nichts zu bemerkenswerten Ankäufen.

 Ich werde viel zum Inhaltlichen sagen. Zu kurz kommt aber das, was Kunst ausmacht: das Ästhetische, Formale. Das kann man nur an einzelnen Werken aufzeigen.

 

Soviel jedoch:

Nur wer, wie Wilhelm Schiefer, einen genauen Blick für das anatomisch Richtige hat und es auch detailliert präzise realistisch darzustellen vermag, der kann auch Überzeichnungen, Verzerrungen, Akzentuierungen, gewagte Verschiebungen auf ästhetisch berechtigte Weise vornehmen, und er kann, sich auf das Allernotwendigste konzentrierend, die Abstraktion ins Äußerste treiben, wenn dies der Intention entspricht.

Und nur wer, wie Wilhelm Schiefer, als Bildhauer darin geschult ist, bewusst dreidimensional wahrzunehmen und zu gestalten, kann sowohl dem Raum als auch der Fläche eine Struktur geben,  die dem Gegenstand und der beabsichtigten Wirkung angemessen ist.

 

Schaut man zurück, so lassen sich drei Gruppen von Werken – die auch einen inneren Bezug haben können – unterscheiden.  

Wir haben erstens die dreidimensionalen  Plastiken.

Zweitens die zuweilen ins Riesige gehenden dreidimensionalen Holzarbeiten.

Und drittens - bisher zuletzt - die zweidimensionalen in reinem Schwarz-Weiß gehaltenen Bilder und die meist aus Metallplatten ausgesägten – das klingt jetzt paradox - zweidimensionalen Plastiken. Diese drei Gruppen bilden ein zeitliches Nacheinander.

 

Zur ersten Gruppe.

Von wesentlichen Plastiken der siebziger und achtziger Jahre sagte Wilhelm Schiefer selbst:

„Meine Plastiken wollen Denk-Male sein: Parodien auf Mahnmale, […] Monumente en miniature. Ausgangspunkt meiner Arbeiten sind Dokumentarfotos. Ich versuche, der im täglichen Konsum abgeflachten Realität dieser Fotos durch Nachvollzug wieder Plastizität zu geben“.  Und ich möchte hinzufügen: Nicht nur Plastizität im Sinne des Dreidimensionalen, sondern im Sinne des konkret, real, detailliert Erfahrbaren und so Berührenden. 

Diese Plastiken reflektieren u.a. den Vietnamkrieg, die Hungersnot in Biafra und den Terror in der Bundesrepublik Deutschland. Besonders erschreckend sind für mich die Plastiken von Kindern, von hungernden, verstümmelten, leidenden und toten Kindern. Manche im Sumpf versinkend. Die Niedlichkeit der kleinen Figuren steht in einem scharfen Kontrast zum Dargestellten, das so in besonderem Maße schockiert.  

Aus jener Zeit stammen auch einige wenige lebensgroße Arbeiten, die Krankheit, Alter und Tod repräsentieren, aber auch erfreuliche Kinderbüsten.

 

Zu den Arbeiten aus Holz.  

- Da gibt es Stühle, die sich ihrer Funktion widersetzen, die geradezu aufmüpfig sind.   

- Monumental sind die Türhüter - Torbögen und Sitzende in eins - , die an Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“ erinnern.   

- Irritierend sind die Objekte, in denen die Perspektivität selbst durch extreme Verkürzungen demonstriert wird. Sie mögen uns daran erinnern, dass all unser Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Erkennen und Verkennen standpunktgebunden ist und somit perspektivischen Charakter hat.  

- Und es gibt Türme, auf Stelzen stehende Hütten, und vielfach: sich nach oben hin verjüngende Treppen und Leitern.

 

Man hat Schiefer vorgeworfen, die Arbeiten aus Holz passten nicht zu seinen figürlichen Plastiken.

 

Ich meine, es ist durchaus akzeptabel, wenn ein Künstler sich einem neuen Gebiet zuwendet. Man muss doch kein Markenzeichen haben wie Uecker oder Vasarely, deren Werke sich auf Anhieb dem Urheber zuordnen lassen.

 

Es gibt allerdings durchaus eine innere Verbindung - inhaltlich und formal - zwischen den figürlichen Plastiken und einer Reihe von Holzobjekten. 

Fasziniert hat Schiefer das Motiv des Fliegens. Es findet sich in den von ihm geschaffenen vielen kleinen Ikarus-Figürchen.

Schiefer sagt: „Wir sind determiniert durch die Realität. Die Grenzen, die die Realität uns steckt, wollen wir phantasierend überwinden. Seit Alters her ist das Fliegen hierfür Sinnbild.“

Den Übergang zu den Holzobjekten bilden die Vorrichtungen, die Gerüste, die die Flugversuche ermöglichen sollen.

In einigen seiner Arbeiten ist die Startrampe auf Leitern reduziert worden. Die Leiter ist, so Schiefer, Symbol für den Versuch, „aus dem Raumsystem auszusteigen, um es von außen zu betrachten.“ Seine Leitern lehnen zuweilen an einer imaginären Wand an. Oder an Wolken, die für den Künstler wiederum Symbol des Himmels, der Phantasie sind.

Fragen wir in diesem Zusammenhang, warum bei Schiefer Häuser oder Hütten auf langen Stelzen stehen. Da zeigt sich doch auch, dass da einer hoch hinaus will, sich abheben und Distanz gewinnen möchte.

 

Da ich im Folgenden genauer darauf eingehe, möchte ich zur dritten Gruppe - zum Zweidimensionalen -  hier nur so viel sagen. Wie kommt es, dass ein Bildhauer, dessen Medium der dreidimensionale Raum ist, sich der Fläche zuwendet? Bequemlichkeit dürfte kaum der Grund sein - Schiefer ist immens fleißig -, wohl aber die Herausforderung, in nur zwei Dimensionen das zu zeigen, wofür man zuvor drei Dimensionen benötigte.

 

Soviel also zu einem, ja, recht groben Überblick.

 

Ich möchte nun an einige größere Projekte erinnern  - vier sind’s  -, die Wilhelm Schiefer realisiert hat.

 

(1.)  2005 schuf er für die gläserne Fassade der Stadtbibliothek Neuss unter dem Titel „24 Tagewerke“ einen wachsenden Adventskalender. Tag für Tag entstand ein neues, aus schwarzem Sperrholz bestehendes Sägebild, bis der Kalender auf nicht vorhersagbare Weise mit dem 24. Bild fertig war.

 

Der Kalender, den Wilhelm Schiefer geschaffen hat, bildet einen scharfen Gegensatz  zu dem, was heute vor Weihnachten üblich ist, einen Kontrast zu dem allgegenwärtigen folkloristischen und pseudoreligiösen Kitsch, zu dem optischen und akustischen Lärm, der dem Kaufanreiz dient.

Wilhelm Schiefer wollte Monochromie statt des flirrend Bunten, er wollte die Offenheit für den aktuellen Zustand der Welt statt rührseliger und falscher Nostalgie.

 

Thematischer Anlass für die Adventsbilder waren fast ausnahmslos Fotos, die Schiefer Tag für Tag in Zeitungen fand. Ihr Inhalt: politische Ereignisse, Katastrophen, Momente aus Kunst, Natur und Sport, Familiäres und - wider Erwarten - nur wenig Religiöses.

Das Gefundene wurde transformiert, durch neue Elemente kommentiert und durch Konzentration auf das Wesentliche mit einer umfassenderen Bedeutung aufgeladen. 

 

Formal sind die Bilder trotz des einheitlichen Schwarz vor durchsichtigem Glas recht unterschiedlich. Ein expressionistischer Gestus findet sich ebenso wie die Reduktion auf Elementares, eine Art Minimalismus steht neben einem Erfindungskraft beweisenden Formenreichtum.

 

Nie genügt ein flüchtiger Blick, um das Gemeinte zu erschließen. Dazu bedarf es eines längeren Verweilens. Diese Sinnbilder - nicht Abbilder - sind fast immer doppelbödig, hintergründig.

 

Beeindruckend finde ich Folgendes.  Wilhelm Schiefer bat Freunde und Bekannte, zu den täglich entstehenden Bildern persönliche Kommentare zu verfassen. Eine solche Einladung zur kreativen, vielleicht auch kritischen Mitarbeit ist alles andere als selbstverständlich und verdient ungeteilte  Anerkennung. Vollständigkeit sollte der Kalender nicht durch das Einfügen des letzten Bildes, sondern durch das geschriebene Wort erhalten.

 

Die veröffentlichten Kommentare zu den Bildern sind so vielfältig wie die Menschen, die sie verfasst haben. Die Deutungen und Anmerkungen öffnen den Blick und erzeugen Irritationn, nötigen den Leser zur Selbstkorrektur. Und es gibt Kommentare zu dem, was andere geschrieben haben, so dass eine Art Gespräch entsteht.

 

Bilderwand und die zugehörigen Kommentare bilden ein Gemeinschaftswerk, dessen Hauptverfasser Wilhelm Schiefer ist.

 

Sein Anliegen? Nimmt man auch die Plastiken und spätere Werke mit hinzu, dann wird sichtbar:

 

Dieser Mann ist jemand, der sich aussetzt, der sich öffnet, der sich betreffen und anrühren lässt von dem, was in der Welt geschieht, auch von dem Schrecklichen, das Menschen einander antun.

Das Wahrgenommene verwandelt er in Werke, die seine Erfahrungen vermitteln. Er will bewegen, sensibilisieren, zu denken geben. Und dies gelingt ihm, da er über das notwendige Handwerkszeug und die Fähigkeit verfügt, Gedachtem und Erlebtem einen überzeugenden sinnlichen Ausdruck zu verleihen. 

 

 

(2.)  Wiederum Vierundzwanzig Tagewerke, auch aus schwarzen Sägebildern bestehend, hat Schiefer 2006 für Kaarst geschaffen, genauer:  für die Fenster des Atriums zwischen Bürgerhaus und Rathaus. Diese Tagewerke sind keineswegs eine bloße Replik des Neusser Kalenders.

Denn es gibt signifikante Unterschiede. Während zuvor die bloße Silhouette dominierte und fast ausnahmslos Plakatives gezeigt wurde, ist auf vielen Bildern nun auch Räumliches sichtbar, indem durch das Spiel von Licht und Schatten eine vorher nicht vorhandene Plastizität erzeugt wird.

Außerdem: Die Personen des Kalenders von 2005 waren gesichtslos, jetzt aber wird Mimik deutlich. Man denke an den Ausdruck von Triumph im Gesicht der Gefeierten (9. Tag), an die missmutige, unwirsche Mimik des am Tropf Hängenden, der trotz seiner Krankheit weiter raucht (11. Tag), oder an den ernsten, konzentrierten Gesichtsausdruck des „Schachspielers“ (16. Tag).

 

Gezeigt wird auch - anders als im Neusser Kalender -, was in einer realistischen Darstellung nicht sichtbar werden könnte: das, was innerhalb eines Körpers verborgen ist, wie Jona im Innern des großen Fisches oder das Ungeborene im Leib der jungen Frau. Ein wunderbares Bild, so meine ich.

 

Auffällig am Kaarster Kalender ist die intensivere Verrätselung. Wilhelm Schiefer besitzt ein hohes Maß an Findigkeit, wenn es gilt, Fehlspuren zu legen, mit seinen Suchbildern zu vexieren und uns, die wir doch so gut Bescheid wissen, ratlos zu machen.

 

Was will Wilhelm Schiefer mit seinen Kryptogrammen? Der Künstler möchte offenbar den Betrachter zur Besinnung bringen, zu Nachdenklichkeit, Reflexion. Seine Bilder wollen nicht einlullen. Sie rufen uns vielmehr zu: Schaut genau hin, bleibt nicht beim erstbesten Gedanken hängen, seid kritisch gegenüber einem vorschnellen Urteil.

 

Der Reichtum der Themen ist bemerkenswert. Engel und Teufel, Arbeit und Fest, Politik und Showgeschäft, Angst und Geborgenheit, Tod und Geburt, Furcht und Hoffnung, und so fort: Immer wieder fühlt sich der Betrachter zu Gedanken angeregt, die ins Allgemeine und Grundsätzliche, ja ins Existentielle gehen.

 

Der Öffentlichkeit war der Kalender nicht nur an Ort und Stelle zugänglich, sondern auch im Internet, in dem Interessierten die Möglichkeit geboten wurde, sich zu äußern.

In das von Christa Kolling umsichtig betreute Internet-Projekt wurden immerhin weit über zweihundert Beiträge gestellt. (Nebenher: Von Christa Kolling gibt es auf You-Tube wirklich sehenswerte Videos, die dem Werk von Wilhelm Schiefer gewidmet sind.) 

 

Die Vielfalt der eindrucksvollen Kommentare bewies, welche Kraft in diesen Bildern steckt, im Betrachter eigene, auch ganz persönliche Vorstellungen zu wecken.

 

Diese Kommentare enthalten Besinnliches, aber es ist auch Rede vom Gasprom-Arbeiter, von der Offshore-Plattform zum Ölbohren, von Stammzellen-  und Embryonenforschung, von Shareholder-Value und von Nichtraucher-Bahnhöfen. Die Mauer zwischen Palästina und Israel findet ebenso Erwähnung wie die Ausladung des Putin-Kritikers Kasparow aus einer Fernsehrunde.

Fast immer spürt man, dass es um die Sorge geht, auf humane Weise Mensch zu sein.

 

(3.)  Einen Ausflug in den Bereich der Zeitkunst – im Unterschied zur Raumkunst – macht Wilhelm Schiefer, indem er seine streng schwarz-weiß gehaltenen Bilder in Bewegung setzt.

 

Bei seiner Hungertuch-Aktion in der Fastenzeit 2006 hat er die Altarwand in der Kaarster St.-Martinus-Kirche mit einer 9 x 9 m großen Leinwand verhüllt. Auf diese Leinwand wurden jeden Sonntag beim Gottesdienst die zur Meditation anregenden kinematographischen Arbeiten projiziert. Und während der Fastenzeit 2007 zeigte Wilhelm Schiefer diese Projektionen auch in der Düsseldorfer Bunkerkirche, dies im Rahmen eines geistlichen Konzertes.

 

Themen der sich wandelnden Projektionen sind:

- Die gesichtslose Masse, die zu einem Demagogen, einem Popstar und zu dem geschundenen Jesus hinaufschaut.

- Eine Mauer, die schützt, indem sie ausschließt.

- Die Abwandlung des Jona-Motivs.

- Totenklage.

- Nachfolge Christi.

- Der Global Player.

Und, was wir alle kennen, die Versuchung. Bei ihrer Darstellung konnte dem Betrachter durch den Kopf gehen, was alles Macht über uns gewinnen, was uns süchtig machen kann.

 

Die zuweilen quälend langsamen Veränderungen des Dargestellten verlangen Geduld und genaues Hinschauen vom Betrachter.

- Ein schlankes Brett, von einem leichtfüßigen Menschen getragen, verwandelt sich allmählich in ein lastendes Kreuz.

- Lemurenhaftes greift in fast unmerklichen Bewegungen nach einer menschlichen Gestalt.

- Figuren tauchen aus dem Nichts wie aus einem Nebel auf und schwinden wieder.

 

In die Hungertuch-Aktionen wurden, bezeichnend für Wilhelm Schiefer, auch Freunde und gute Bekannte einbezogen, die ihre Gedanken angesichts des Gezeigten vortrugen.

 

(4.) Das spektakulärste Projekt, das nicht ohne Widerstand  und mit einem gewaltigen Engagement von unterschiedlichen Seiten realisiert worden ist, besteht natürlich in der Errichtung der Brücken über den Nordkanal. Die große Eröffnungsfeier fand im Mai 2008 statt, also ziemlich genau vor sieben Jahren. 

Hierzu möchte ich nichts – fast nichts - weiter sagen, da schon so viel darüber geschrieben und diskutiert worden ist. Der gesamte Vorgang ist bestens dokumentiert.

 

Ich sehe dieses sogenannte Kommunikationsmodell als Modell einer versuchten, aber noch scheiternden, noch missglückenden Kommunikation. Es stellt nichts Utopisches dar, sondern schildert als Megametapher einen realen Zustand, den es zu überwinden gilt.

Ich bin nun weder Alt-Kaarster, noch Büttgener, noch Holzbüttgener noch Driescher noch Vorster und weiß daher nicht, ob diese dreidimensionale hochaufragende Mahnung irgendeine Wirkung gezeigt hat.

Die Brücken sind inzwischen jedenfalls soweit akzepiert, dass - wie ich gehört habe - ihr Abbild sogar auf - wie nenne ich sie - Plaketten der Schützenbruderschaft Kaarst zu finden ist. Und auch in Köln erfährt man, dass es lohnenswert ist, sich dieses Kommunikationsmodell anzuschauen.

Kaarst hat diesem Werk Modell gestanden - falls man das so sagen kann -, es besitzt  jedoch eine über das Regionale hinausgehende Bedeutung. Es gibt so oder so zu denken.

Dies also zu den vier Projekten, deren gemeinsamer Tenor die Frage nach einer humanen Existenz ist.

 

Erwähnenswert ist folgende Aktion: 1981 hat Schiefer in Gedenken an die Progromnacht 1938 eine Pyramide aus 600 Kerzen aufgebaut, die an die 6 Millionen Opfer des Holokaust erinnern sollten. Die in klarer Ordnung stehenden Kerzen wurden angezündet. Durch die Hitze schmolzen allmählich die Kerzen und es entwickelte sich ein flammendes Inferno.

 

Kurz noch etwas zu einzelnen Werken. (Es sind nur drei!)

 

Besonders beeindruckt hat mich das schwarz-weiße „Gruppenbild 3“. Hier wird deutlich, wie Schiefer eine Fotovorlage umsetzt. Gezeigt wird eine Szene aus dem Abu-Ghuraib-Gefängnis im Irak: Sie wird Ihnen bekannt sein: Die junge Armeeangehörige Lynndie England hält einen am Boden liegenden Gefangenen an einer Leine. Schiefer gibt die junge Frau sehr genau als Silhouette wieder, der Körper des Gefangenen aber wird so verändert, dass seine innere Qual in dem sich verkrampfenden, sozusagen schreienden Körper sichtbar wird. Diese Szene wird wiederum – als spiele sie auf einer Bühne -  von einer Gruppe gesichtsloser Menschen in gelassener Haltung betrachtet.

 

Das selbst leuchtende, eindrucksvolle Vektorbild „Centralstation“ greift das Motiv der großen Vorhalle der „Grand Central Station“ in New York auf, verändert räumliche Details und erzeugt durch das Licht und die Bewegungsrichtung der Menschen den intensiven Eindruck eines – wie auch immer zu verstehenden – sakralen Geschehens. Schauen Sie selbst!

 

Hinweisen möchte ich noch auf die Plastik, die 2008 vor der Feuerwehr in Kaarst aufgestellt wurde. Sie heißt schlicht „Gruppe“ und besteht aus sieben lebensgroßen, aus Stahlplatten geschnittenen Gestalten.

Warum - so fragt man sich - sind diese männlichen Figuren identisch, ohne Individualität? Warum sind sie gesichtslos? Warum streben sie in exakt dieselbe Richtung, in gleicher Weise ausschreitend? Warum diese nach vorn geneigte Haltung, als gingen die Männer gegen einen Sturm an? Ich denke, auf diese Fragen gibt es durchaus sinnvolle Antworten 

 

Wie Sie wissen, haben viele Werke von Schiefer etwas Bedrückendes, Düsteres, sind Klage und Anklage.

 

Es gibt aber auch die andere Seite, die Feier der Lebensfreude, ja des Ekstatischen.

 

Denken Sie nur an die pralle, dralle weibliche Figur im Kaarster Rathausweiher, die sich - bis in die Fingerspitzen hinein -  einem ekstatischen Tanz hingibt. Auch einige seiner – meist kreisrunden - Fensterbilder gehören in diesen Bereich der Lebensfreude.

 

Durchaus heiter, verspielt und witzig sind einige Bilder des Zyklus "Im Gebirg“ und der parallel hierzu entstandenen Werke wie „Seeufer“, „Zwei Männer den Mond betrachtend“ und „Gegenspieler“.

 

Und es gibt da die kleinen beidseitig farbig bemalten Holzfiguren – ja, Schiefer kann auch malen - ,  die nicht nur komisch sind, sondern geradezu ins Frivole tendieren und einen fast boshaften Witz beweisen. Leider hier nicht zu sehen.

 

Ein Letztes. Das, was Wilhelm Schiefer geschaffen hat, ist aufs Ganze gesehen eher spröde, es ist nicht gefällig, es biedert sich nicht an. Man muss sich darauf einlassen, um es zu verstehen und zu schätzen.

 

Ich habe überlegt, welcher Strömung oder welcher Kategorie zeitgenössischer Kunst Schiefers Werk zuzuordnen ist. Ich habe keine passende Schublade gefunden: Das Geschaffene ist eigenständig, eigenwillig und – ja, das auch – eigensinnig.

  

Ich bin dankbar für das, was Wilhelm Schiefer geschaffen hat.

 

Schauen Sie selbst!


 
© Wilhelm Schiefer (2002)